Wie ich lernte, Angst zu haben


Angst? Als Kind kannte ich keine Angst. Ich war sorglos und voller Lebensfreude, wollte die ganze Welt erkunden. Und diese Welt war so groß wie die Straße, in der wir wohnten.

Erster Versuch

Kurz nachdem ich 3 Jahre alt wurde, begann meine Ausbildung in dem Fach, “Die Kunst Angst zu haben". Mein Vater, ein Handwerker und Bastler, baute in den heiligen Wochen vor Weihnachten an einer Weihnachtskrippe. Uns Mädchen, meine um elf Monate jüngere Schwester und mich machte das neugierig. Ich wollte, und weil ich wollte, wollte auch meine Schwester dem Vater beim Bau der Grippe helfen. Es war schon Abend und Bettzeit. Ich bettelte und weil ich bettelte, bettelte auch meine Schwester darum, ihm helfen zu dürfen. Mein Vater, ein strenger Mann mit klaren Prinzipien, der manchmal, wenn wir ihn lange genug beknieten, nachgab, sprach zu uns Mädchen: “Wer in den dunkeln Keller geht, wo der schwarze Mann lebt und das Werkzeug aus dem Keller bringt, darf aufbleiben und helfen”.

Er hatte den Satz noch nicht richtig zu Ende gesprochen, schwuppdiwupp war ich schon im Keller und brachte das Gewünschte. Die Worte „dunkeln Keller“ und „schwarze Mann“ musste ich wohl in meiner Aufregung überhört haben oder konnte ihnen als kleines Kind noch keine Bedeutung beimessen. Meine jüngere Schwester traute sich nicht. Nun ja, sie war noch sehr klein. So musste sie ins Bett und ich durfte helfen. Der erste Versuch, mich Angst zu lehren, scheiterte.

Zweiter Versuch
Mit 5 Jahren bekam ich ein Kinderfahrrad zu Weihnachten geschenkt. Was für eine Freude. Überglücklich ein Fahrrad zu haben, konnte ich es kaum erwarten, endlich Radfahren zu lernen. Ich übte fleißig und von Abenteuerlust getrieben, lernte ich sehr schnell und beherrschte schon nach kurzer Zeit sicher das Radeln. Von da ab gab es keinen Tag, an dem ich nicht mit meinem geliebten Rad dunkelrot, die Farbe, die Straße erkundete. Als Kinder, damals fuhr in unserer kleinen Straße nur sehr selten ein Auto, durften wir meist unbeaufsichtigt, den ganzen Nachmittag draußen spielen. Es gab viele Gebote und Verbote, die wir einhalten sollten. Und ein Gebot erlaubte uns Kindern nur in der Straße zu spielen, in der wir wohnten. Unsere Eltern vertrauten uns und ganz besonders den Älteren, die den Auftrag hatten, auf die Jüngeren aufzupassen. So fuhr ich stolz mit meinem Rädchen viele Tage die Straße rauf und runter. Doch die Straße rauf und runter wurde mit der Zeit sehr langweilig und so erkundet ich auch die angrenzende Straße. Bald schon vertraut, dehnte ich meinen Erkundungsraum noch weiter aus. So kam es, dass ich eines Tages alle Regeln vergaß und beflügelt von Neugier und Abenteuerlust, einfach darauf losfuhr, immer weiter radelte hinaus in die Welt, an einer großen Produktionshalle vorbei und noch weiter über einen Damm, immer weiter bis ich schließlich einen kleinen Fluss erreichte. Es war wunderbar, soweit mit meinem geliebten Rad geradelt zu sein, so frei zu sein. Von Angst keine Spur und ob ich den Weg zurück wieder finden würde, machte mir auch keine Sorgen.

Die Neugier war es, die mich trieb. Ich folgte dem Ruf der Weite und meine Unbekümmertheit ließ mich diesen wundervollen Ort finden.

Doch erst mal schnell wieder nach Hause. Zum Glück fand ich zurück. Niemand hatte bemerkt, dass ich eine längere Zeit weg war. Ich wusste schon, dass ich das nicht durfte, aber die Lust, die Welt zu erkunden, war stärker als jedes Verbot. Und so freute ich mich schon auf den nächsten Tag, mit meinem Rad auf Abenteuerreise zu gehen. Ich fand den wundervollen Platz am Wasser wieder. Ich rutschte die Böschung hinab, verdeckt von Hecken und Sträuchern stand ich am Fluss, der, und davon wusste ich als Kind noch nichts so seine Tücken hatte. Später erfuhr ich, dass Kinder und auch Erwachsene in ihm ertrunken sind.

Überglücklich, diesen wundervollen Ort, mit den dicken Steinen und dem riesigen Baum direkt am Wasser, verborgen hinter einem Erdwall und Sträuchern, entdeckt zu haben, verbrachte sorglos, spielend den Nachmittag. Das war mein Fluss, mein geheimer Platz, an dem ich mich wohlfühlte, an dem ich begann, die Geheimnisse des Wassers, der Steine, des Baumes zu erkunden. Sie wurden meine Freunde, ich sprach mit ihnen, erzählte ihnen Geschichten und sie erzählten mir Geschichten. Das war mein magischer, mystischer Platz, mein Geheimnis. Niemandem erzählte ich davon. Es war wunderbar. Ich fühlte mich großartig, so sorglos und so glücklich wie man als Kind nur sein kann. Dieser Ort lebt heute immer noch tief in meinem Herzen. Dort habe ich so viel gelernt, so viel bekommen, so viel unbeschreiblich schönes und wundersames. Das nur am Rande.

Von nun ab fuhr ich fast jeden Tag zu meinem Fluss und verweilte in Träumen und Spielen dort viele Stunden. Meiner Mutter, falls es ihr Mal auffiel, dass ich nicht zur Stelle war, erzähle ich irgendeine erfundene Geschichte, über das, was ich so getrieben hatte. Sie glaubte mir, schimpfte, wenn ich zu spät kam. Damit war sie zufrieden und ich auch. Ihr ist nie aufgefallen, dass ich weiter weg war. Und so konnte ich bis in den Herbst hinein die Zeit an meinem magischen Fluss genießen. Es war wunderbar. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als diese Freiheit von damals, auch heute nicht. Kein Meer, kein Berg, obwohl ich beides sehr liebe, kann mir mehr geben als die vergangenen Tage an meinem Fluss.

Zurück zudem, wie ich lernte, Angst zu haben. Mein Vater, dessen Erziehungsstil durch seine eigene Angst geprägt war, erfuhr von einem älteren Herrn, der mich bei meinen Unternehmungen beobachtet hatte, dass seine Tochter öfters einen Fahrradausflug unternahm.

Nun ja, wie bereits erwähnt, mein Vater, dessen Erziehungsstil von seinen Ängsten geprägt war, konnte das natürlich nicht dulden. Eine ausführliche Belehrung über die Gefahren, die mir auf meinen unerlaubten Ausflügen lauerten, war ein Teil seiner Erziehungsmaßnahmen. Ich ließ die Belehrungen, Erklärungen und angst machenden Geschichten wortlos, geduldig und staunend über mich ergehen. Konnte jedoch weder meinen Vater noch seine Ausführungen verstehen, da mir in all den Tagen nichts passiert ist und mir auch keine Dämonen, wilden Tiere und furchterregenden Männer begegnet sind. Ich war immer alleine und konnte mich auch nicht daran erinnern, dass mir auch nur ein Mensch auf meinen Touren begegnet ist, geschweige denn all die Unwesen und Gefahren, von denen mein Vater glaubte, dass sie auf mich lauerten. Nur nebenbei. Er hatte nicht einmal gefragt, wohin mein Ausflug mich denn führte. Zum Glück, denn hätte er erfahren, dass ich an den Fluss geradelt bin, hätte er mich sicherlich für den Rest meiner Kindheit und wahrscheinlich auch noch die halbe Jugendzeit in Ketten gelegt.

Strafe muss sein, ganz klar, ohne Strafe keine Erziehung. Fahrrad für ein halbes Jahr weggesperrt und jede Menge Hausarbeiten für eine lange Zeit. Keine Zeit zum Spielen und nach draußen zu den anderen Kindern, war für ein halbes Jahr strikt verboten. Eingesperrt lernte ich bereits mit 5 Jahren, was eine gute Hausfrau, Putzfrau, Köchin, Schneiderin und Gärtnerin ist. Darin hat mich meine Mutter in den Monaten des eingesperrt seins unterrichtet. Als Strafe hatte ich jede Menge Pflichten auferlegt bekommen, deren Erledigung ich erst mal lernen musste. Und meine Mutter, da sie ihrer Aufsichtspflicht mir gegenüber nicht sorgsam nachgekommen war, hatte die Aufgabe auferlegt bekommen, mich zu bewachen und dafür zu sorgen, dass ich meine aufgetragenen Arbeiten pünktlich und ordentlich erledigte. Jedes Wochenende, wenn der Herr des Hauses, mein Vater von seiner Arbeit zur Familie zurückkehrte, pflegte er meine Arbeiten genauestens zu begutachten und wehe dem ...

Meine Strafe habe ich ordentlich erledigt, denn mein Vater duldete keine Unordentlichkeit und auch keine nicht korrekt erledigten Arbeiten. Doch bei all den Strafarbeiten dachte ich nie daran, mir die Fahrt an meinen Fluss zu versagen. Schließlich war mein ersehntes Zuhause dieser mystische Ort, wo es lustige Wassergeister, wunderschöne Elfen, Gnome, Zwerge, sprechende Steine und einen mich beschützenden Baum gab. Die Erinnerung und das Träumen von den Abenteuern, die mich erwarten, ließ mich diese harten Monate ertragen. Im Nachhinein kann ich sogar sagen, dass das Erlernen dieser nützlichen Hausfrauenarbeiten mir nicht geschadet hat. Es hat mir sogar Spaß gemacht, denn ich durfte Dinge tun, die man einer bald 6-Jährigen nicht zugemutet hätte. Und meine Mutter, ließ mich vieles selbst machen, denn sie hatte bessere Dinge zutun, als ihre Tochter ständig zu bewachen und anzuleiten. Das kam meiner Lust auszuprobieren, zu entdecken und alles selbst machen zu dürfen, sehr gelegen.
So verging das halbe Jahr nicht ganz so unangenehm, wie sich das mein Vater wohl vorgestellt hatte.

Endlich, als der Frühling lachte, zu einer guten Hausfrau ausgebildet, durfte ich wieder in die Welt hinaus und radeln. Die ersten Tage hielt ich mich an die Regeln und blieb in der Straße, um meiner Mutter zu zeigen, dass ich brav sei. Doch nachdem ich mich versichert hatte, dass meine Mutter mir vertraute, machte ich mich wieder auf den Weg. Anscheinend konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihre fleißige Tochter, nach den folgenschweren Belehrungen sich nicht an die Regeln halten würde. Vor ihr hatte ich nie Angst. Ich wusste, selbst wenn sie etwas von meinen Ausflügen erfuhr, sie würde meinem Vater nichts davon erzählen. Die ausführlichen Belehrungen ihres Mannes über ihre unterlassene Aufsichtspflicht hatten sich tief in ihr Gedächtnis geprägt und das bewahrte mich davor, falls ich erwischt würde, dass sie mich verpfiff. So fühlte ich mich sicher, was meine Mutter betraf. Was meinen Vater betraf, hatte ich die Strafe bald vergessen und die Angst davor erwischt zu werden auch. Außerdem würde ich dafür sorgen, dass mich diesmal niemand verraten konnte.

Und schlau, wie ich nun mal war und immer noch bin, suchte ich einen anderen Weg, damit besagter Herr mich nicht wieder verraten könne. Ich fand ihn auch und so konnte ich unentdeckt viele Tage an meinem geheimen Ort, an meinem geliebten Fluss glücklich verbringen. Eigentlich ist es nur Flüsschen. Doch mit der Fantasie und mit den Augen eines Kindes war mein Fluss groß, wild und mein allerbester Freund.

Der zweite Versuch mir Angst beizubringen blieb ebenso erfolglos.

Dritter Versuch
Mein Vater, seiner Pflicht bewusst, seine Kinder zu redlichen, fleißigen, anpassungsfähigen Menschen erziehen zu müssen, pflegte einen Erziehungsstil sonderlicher Art. Obwohl es genügend Gelegenheiten gab, Angst zu erlernen, beherrschte ich bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr immer noch nicht die Kunst “Angst zu haben”, so glaubte ich. So bekam ich eine neue Chance. Mein Vater, der seine Kinder wirklich sehr liebte, hatte eine neue Gefahr gewittert, vor der er mich unbedingt bewahren musste.

Es war Sommer, ein Sonntag im August. Bis zu diesem Tag, hatte ich noch nie Alkohol getrunken, wohl aber roch ich, wenn unsere Gäste sich von meinen Eltern verabschiedeten, heimlich an den leeren Schnaps- und Likörgläsern und hatte auch mal ein Likörglas ausgeleckt. Schließlich wollte ich wissen und auch schmecken, was die Gäste so glücklich und ausgelassen machte.
Das musste mein Vater beobachtet haben. Und dieses sonderliche Verhalten seiner Tochter, hatte ihn wohl dazu bewogen, den Anfängen meiner Alkoholsucht für immer und auf ewiglich Einhalt zu gebieten.

Sonntag Nachmittag, mein Großvater kam zu Besuch. Wenn Großvater an einem Sonntag uns besuchte, wurde Schnaps auf den Tisch gestellt. Nicht, dass mein Großvater viel trank, ihm reichte ein Gläschen Schnaps, am Sonntag. Aber nicht irgendein Schnaps, es musste schon ein 50% Obsttrester sein. Damals gab es solch hochprozentiges Zeugs noch zu kaufen und so hatten wir immer eine Flasche Trester für Opa im Hause. Nun ja, mein Vater, wie gesagt hatte einen sonderbaren Erziehungsstil, begann mich zu necken und zu provozieren. Mit provokativen Worten reizte er mich auf sein Spiel, was ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durchschaute, einzugehen. Es machte irgendwie Spaß und er wusste genau, wie er mich dazu brachte, auf sein Spiel einzugehen. Und so kam es, dass ich großspurig und übermütig wie ich nun mal war und immer noch bin, heraus posaunte, dass Alkohol mir nichts anhaben und ich locker eine Flasche davon trinken könne, ohne dass ich irgendwelche Anzeichen von Trunkenheit zeige.

Meine Mutter ahnte wohl, was kommen würde und wollte das Spiel beenden. Aber wie das nun mal ist, ein Spiel angefangen, will auch zu Ende gespielt werden. Mein Vater bot mir eine Wette an, die da lautete. „Wer als erster das Trinken aufgibt, muss den Schnaps bezahlen.“ Absolut sicher, dass ich jeden Mann und auch jede Frau unter den Tisch trinken kann, ließ ich mich auf die Wette ein. Die Wirkung von Alkohol kannte ich bis zu diesem denkwürdigen Tag noch nicht. Zwei Schnapsgläser, eine fast noch volle Flasche 50% Obsttrester und das Trinken begann.

Ich, damals auf einem Schlankheitstrip, besser gesagt, ich litt unter Anorexie, hatte kaum etwas im Magen, wog gerade mal 37 Kilogramm, trank das erste Glas, mein Vater auch und das zweite Glas, mein Vater auch und das dritte Glas, das vierte und das fünfte Glas und dann und dann und dann … nichts mehr, absolut nichts mehr, Filmriss. Ich, im wahrsten Sinne des Wortes war ich unter den Tisch gerutscht, total besoffen. Mein Vater, mich schändlich getäuscht, hatte, ohne dass ich es bemerkte, Wasser in sein Schnapsglas gefüllt und war nicht im mindesten betrunken. Er schleppte mich die Treppe hinauf ins Bett. Ich wollte sterben, so elendiglich war mir. Sterben war der einzige Ausweg, diesem fürchterlichen Leiden ein Ende zu setzen. Daran konnte ich mich noch erinnern. Glücklicherweise wollte der Schnaps nicht bei mir bleiben und so entging ich einer schweren Alkoholvergiftung. Diesmal belehrte meine Mutter meinen Vater über sein unverantwortliches Handeln, denn ich hätte ja an der Menge Alkohol, die ich durch seine Provokation in mich hinein gekippt hatte, elendiglich verrecken können. Am folgenden Tag war ich immer noch besoffen, jedenfalls fühlte es sich so an. Eine Woche lang ging es mir richtig schlecht. Was für eine starke Erfahrung. Auf jeden Fall war ich, so glaubte ich, und auch mein Vater, von meiner schlimmen Alkoholsucht für immer und ewig geheilt.

Immerhin, jetzt hatte ich Angst vor Alkohol, zumindest für eine lange Zeit. Aber wie das nun mal ist, mit dem Alkohol, verfliegt er mit der Zeit und so verflog auch meine Angst vor dem Alkohol mit der Zeit.

Wieder nichts mit Angst haben.

Ich machte noch einige ziemlich fragwürdige Dinge in meiner Jugendzeit. So rannte ich einmal mit 250 g Butter und meinen Schulbüchern von zu Hause weg, für zwei Tage. Das brachte den Herrn Pastor, meine Mutter, die Polizei und einige Bewohner unseres Dorfes in Aufruhr, aber vor allem versetzte mein unerlaubter Ausflug meinen Vater in hoch explosive Stimmung. Ich dachte mir nichts dabei, einfach aus einer Idee entstanden. Mir machte es Spaß, von zu Hause wegzulaufen und meinen Radius zu erweitern, denn auch in der Jugendzeit beschränkte sich der erlaubte Bewegungsraum auf ziemlich genau 11 km. Und das auch nur, weil die Schule, die ich besuchte, genauso so weit von meinem Zuhause entfernt war.

Weglaufen war keine gute Idee, bescherte mir einige fragwürdige Erfahrungen und noch mehr Ärger. Wieder zu Hause zurück, wurde mir sofort mehr als deutlich klargemacht, dass meine Mutter, meine Geschwister, der Herr Pastor, das halbe Dorf, die Polizei und vor allem mein Vater, Angst um mich hatten. Ich hatte keine Angst um mich und verstand auch nicht wirklich die ganze Aufregung um mich. Ich war ja schließlich unversehrt wieder zu Hause. Doch zum ersten Mal spürte ich, auch wenn ich den Dörflern, dem Herrn Pastor und der Polizei ihr Angstgetue um mich nicht wirklich abnahm, dass es Menschen gab, die Angst um mich hatten. Und noch etwas war neu mich, ich wurde wahrgenommen. Ich stand sogar im Mittelpunkt und das war für mich eine vollkommen neue Erfahrung, die mich, trotz all dem Lärm um meine Tat, hocherfreute. Tolles Gefühl, endlich war ich wichtig. Nun ja, es war nicht nur toll. Es hat mich etwas wachgerüttelt. Ich hatte zwar immer noch keine Angst, so glaubte ich. Doch zu spüren, dass meine Eltern Angst um mich hatten veränderte etwas. Was das war, wurde mir erst viel viel später bewusst ...

Als mein erstes Kind geboren wurde, fühlte ich zum ersten Mal Angst in mir. Ich hatte Angst und konnte die Angst in mir deutlich spüren. Ich hatte Angst zu sterben und nicht mehr für meinen Sohn da sein zu können. Angst um meinem Sohn, dass ihm etwas Schlimmes passieren könnte. Angst kannte ich bin dahin nicht. Jetzt hatte ich Angst. Es war eine vollkommen neue Erfahrung für mich, Angst zu haben.

Vieles geschah noch in meinem Leben und mit der Zeit entdeckte ich neue Ängste in mir. Plötzlich hatte ich Ängste, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Angst es nicht zu schaffen, Angst, zu versagen, Angst, nicht gut genug zu sein, Angst, mich zu zeigen, vor allem mit meinem seltsamen Dialekt, Angst, keine gute Mutter zu sein, Angst, meine Kinder nicht richtig zu erziehen, Angst, für die Familie nicht sorgen zu können, Angst, Fehler zu machen …

Woher kam nur die Angst? Woher kam nur die Angst?

… sie muss sich wohl in meinen Kinder- und Jugendtagen unbemerkt, heimlich und unerlaubt in mir eingenistet haben.

Als mein ältester Sohn einmal weggelaufen war, er war gerade mal 5 Jahre, bekam ich Angst, wahnsinnige Angst. Die Hausbar stand offen und mein erster Gedanke war, mein Sohn hat Alkohol getrunken und liegt irgendwo auf der Erde an Alkohol vergiftet und stirbt. Glücklicherweise hatte er sich nur meine Stiefel ausgeliehen und ist mit Stiefel, Hemd und Unterhose auf Entdeckungsreise in die angrenzende Straße gestiefelt. Er wollte die Welt entdecken, angstfrei. Ich weiß noch, als er wieder kam und lachte. Er war sooooo glücklich. Ich hatte Angst, aber bestraft habe ich ihn nicht. Ich war einfach nur glücklich, ihn glücklich erzählend von seinem Abenteuer wieder in meinen Armen zu halten.

In meiner Angst habe ich alle Flaschen Alkohol weggekippt, aus Angst, mein Sohn könnte Alkohol trinken, sich daran vergiften und daran sterben.

Nun konnte ich meinen Vater verstehen und spürte tief in mir, wie sehr er mich liebte.

So lernte ich, Angst zu haben.
Helena Katharina Weber


Schreibe doch deine Geschichte. Wie hast du gelernt, Angst zu haben?

Vielleicht entdeckst dabei, wie deine Angst entstanden ist, vielleicht werden dir Zusammenhänge bewusst, vielleicht lernst du etwas über deine Angst und vielleicht entdeckst du die Kraft hinter deiner Angst. Vielleicht kannst du deiner Angst begegnen und beginnen ihr die Macht über dich zu nehmen.